Kreuzhöhle 2016 - Forscherträume werden wahr

Kurz vor Hüttenschluss gibt es die letzten Jahre jeweils ein Ereignis der Sonderklasse. Wir forschen in der Kreuzhöhle ! Dieser besondere Stern der Höhlenforschung in den Loferer Steinbergen mausert sich so langsam zu einer komplexen Großhöhle. Zum alpinen Saisonschluss stellt diese Höhle wirklich außerordentliche Ansprüche an Mensch und Material.  Allerhöchste Zeit öfter darüber zu berichten. Noch vor 5 Jahren haben wir den Hüttenschluss bei Kathi ausgiebig in der von-Schmidt-Zabierow Hütte genossen. Heute müssen wir echt Acht geben rechtzeitig aus der Höhle zurück zu sein. Auf 2 Hüttennächte kommen 4 bis 5 Höhlenbiwaknächte. Ihr merkt schon, GROSSES bahnt sich an.

Ende September 2016 starten Tom, Mark, Radu, Marvin und ich bei stabiler Sonnenwetterlage von der Hütte Richtung  Großes Wehrgrubenjoch um die Außenstation der Höhlenfunkanlage anzubringen. Das verbliebene mickrige Schneefeld im Kar wäre eine gute Erdung für die 100m lange Dipol-Antenne. Leider ist der Altschnee aber knochenhart gefroren, daher keine Chance etwas zu installieren L . Der sehr grobe Blockwerk-„Schotter“ bietet ebenso weder Erde noch Erdung. Ohje, die Verbindung zur Außenwelt wird dürftig sein. Die zweite Anlage kommt an die Hütte, dann können wir Kaiserschmarrn mit Kompott ins Biwak ordern – Quatsch – uns interessiert nur der Regenbericht. Denn Regen ist gleich Abbruch der Forschungstour, es wird dort unten schnell kritisch.  Die dritte Station des genialen CaveLink kommt mit uns im Schleifsack hinunter ins Biwak – die Nabelschnur zur Außenwelt. Abends wird gepackt, gepackt, umgepackt, eingepackt … . Marvin macht den Außendienst, das ist sehr beruhigend. 

Am Montag 26.September 2016 zieht die Sackkarawane zwei Stunden bergwärts über den Klettersteig (mit vollem Gepäck !)  zum Eingang der Kreuzhöhle in der Steilwand auf 2175m Höhe. Dort oben werden die Bergklamotten und Bergschuhe Nager-sicher in Säcken trocken aufgehängt (die Viecher haben mir unterjährig schon meine Gummistiefel faustgroß gelocht !  Leckere aromatische Kohlenwasserstoffe ! ). Stattdessen werden die stabilen Höhlenoveralls angelegt, Gurtzeug, Helm und pipapo. Jeder schultert 2 Schleifsäcke und schon hängen wir im 93m Eingangsschacht. Ich glaube oben haben wir noch schnell ein Seil getauscht. Dann geht es den üblichen Weg durch die vertikale Engstelle in den verheißungsvoll luftsaugenden Meander. Der Wind weht hier wieder kräftig, Forscherherz was willst Du mehr. Heimatliche Gefühle kommen auf, so oft war ich seit 2004 schon hier. Alles gut, alles monatelang möglichst perfekt geplant, alles läuft rund, die Freunde agieren flüssig und Teamgeist braucht niemand anzumahnen. Also volle Konzentration auf die nächsten 6 Stunden „Weg“-Strecke.

Nach ca. 3 Stunden machen wir Pause am abgeräumten alten Biwakplatz. Heißer Tee tut bei 1°C richtig gut. Einen neuen Teekessel und einen Spirituskocher lassen wir hier zurück. Dafür muss noch 50m Seil mit – schlechter Tausch. Weiter geht es in dieser großartig mit fossilem Sinter geschmückten Höhle, oft auf allen Vieren, auf dem Bauch und teils ziemlich verrenkt durch diverse Separatoren. Der Höhepunkt ist immer die Überwindung des Block des Pharao – das ist mal einen eigenen Artikel wert. Danach ist alles leicht, Mark, Tom, Radu und ich wissen genau was das mental bedeutet – wir sind tief drin !

Es folgt ein nasses Stück am Seil, bei Regen sehr unangenehm, dann geht es durch die Sintersause unterhaltsam abwärts. Große Tropfsteinwände und Formationen säumen den luftigen Weg. Alle Seile sind ok, die Aufhängungen auch. Wir kontrollieren jedes Schräubchen, denn daran hängt das Leben ! Die abschließende 45m Seilfahrt in die Halle 1 ist immer ein Schauspiel. Unten auf -385m ist die wahre Heimat, 4 Biwaknächte in 5 Tagen stehen an. Alles wirkt vertraut, das seit dem letzten Forschungslager vergangene Jahr hat hier Null Bedeutung. Alles ist wie es immer ist – unverändert.
Jeder von uns 4 weiß was in welcher Reihenfolge zu tun ist. Während das erste Funk-SMS seinen Weg zu Marvin sucht wird lecker gekocht, bald auch angeregt gegessen, bis dann der Bergfriede einzieht (auch schnarchend !! ).

Am nächsten Morgen finden sich beim ausführlichen Frühstück Tom und Radu für die Fortsetzung hinter Halle 4, sowie Mark und ich für die tiefen Schächte unter dem „Niehammawassa“ zusammen. Seile und Einbaumaterial werden verteilt, dann geht es ab zum echten Forschen, Neuland wartet. Was auf uns zu kommt, weiß keiner. Nur eines ist sicher, wir werden die ersten Menschen dort sein.

Mark und ich haben in den nun recht trockenen Schächten viel Seil einzubauen, dann ist am Nachmittag endlich das Forschungsende aus 2015 frei im riesigen Schacht hängend erreicht. Direkt nach unten ist es nach prüfenden Blicken und einem Versuch wie auch 2015 viel zu nass und damit am Seil zu gefährlich, schade. Dann also vielleicht über den Klemmblock queren, ah, da ist noch ein Band, am Wasserfall vorbei, weiter rüber und dann da hinten vielleicht …  . Wir schauen mal !  Unter dem Einsatz der treuen Akkubohrmaschine dübeln wir rüber, nicht einfach, aber geht. Am Ende des Bandes ist es wieder bodenlos. Teststeine fallen „ewig“, ganz sicher über 100 Meter ! An ordentlichen Ankern lasse ich mich schließlich ab in die Schwärze. Das Gefühl in der Magengrube ist besser nicht zu beschreiben. Sehr große Schachtspalte, sehr einsam am Seil. Dabei weiß ich der Strick hört nach 80m am Endknoten auf. Gerne hätte ich einen Landeplatz, nur hier ist nix ! 

Weiter unten überspannt eine Felsbrücke die riesige Spalte, wenn ich noch bis dahin käme ! Blöderweise muss ich dorthin pendeln, bei 70m freier Seillänge unmöglich. Doch Trick 17 und Cliffhänger befördern mich sachte auf die Felsbrücke. Dort einhändig ein Ankerloch bohren, Anker einsetzen und den wirklich letzten Meter Seil gut festknoten – Ufff. Mark ist von den Dimensionen tief beeindruckt als er neben mir landet. Genug für Heute, Seil ist aus. Auf dem Rückweg wird wie immer gleich vermessen, fertig ist der perfekte Forschungstag.
Ungefähr zur vereinbarten Zeit treffen wir den strahlenden Radu und den begeisterten Tom im Biwak. Auch unter Halle 4 geht es prima fossil weiter. Das viele Wasser dort kann umgangen werden. Super, das geht ja gut los. Über dem Köcheln gibt es viel zu erzählen !

Am zweiten Forschungstag müssen Mark und ich zuerst mal Seil holen. Mit so einem Bedarf haben wir nicht gerechnet. Dazu quälen wir uns an das dritte Forschungsende. Durch den üblen Steingarten, das schöne Wunderland, an den erstaunlichen Mozartkugeln vorbei, bis auf -521m an der Piazza United. In dem dortigen Schlot wollten wir ohnehin noch hochklettern. Mark gibt alles im Vorstieg. Allein, es tut sich in dem abziehenden sehr engen Meander trotz klettern und Anker bohren keine human passierbare Öffung auf.  Eigentlich gut so, denn die Seile brauchen wir ja woanders. Der lehmige Rückweg mit den schweren Seilsäcken braucht jedoch schon unsere besondere Motivation.

Zurück im Biwak berichten Tom und Radu glühend von Halle 5 und 6 und vielen Abzweigungen, wir sind etwas neidisch !!  Begeistert sichten wir die Vermessungsdaten, dreidimensional auf dem Tablet-computer. Das ist Innovation !  Marvin wird per Funk unterrichtet, sein Schönwetterbericht wird erleichtert empfangen, Gott sei Dank. Doch auch im weiteren Verlauf des Abends gelingt es uns trotz überzeugender Argumente und Rotwein am Kochtopf nicht mit Tom und Radu die Forschungsgebiete zu tauschen – kaum zu glauben ! Doch logisch :-) .  Somit haben wir morgen wieder mit den Megaschächten das Vergnügen – der Gedanke daran begleitet mich in den Schlafsack.

Von der Felsbrücke geht es mit dem neuen alten Seil weiter in den Schacht hinab. Bald ist leider der zweite Akku am Ende. Doch ich sehe den Boden 30m unter mir, ich will da hin !  Allerdings muß ich die scharfen Kanten und fiesen Seilscheuerstellen unbedingt vermeiden. Mit den 3 letzten Bandschlingen, einer glücklich entdeckten Sanduhr (die einzige !!) und einer Felsnase am exakt rechten Ort, kann ich einen sicheren Lufthaken bauen. Nach der für Mark sicher endlos kalten Warteaktion schwebe ich glücklich schwitzend hinab. Mark ist sofort hinter mir und wir führen auf dem geräumigen Boden ein Freudentänzchen auf. Nach einer gründlichen Erkundung stellen wir ernüchtert fest – es gibt nur einen Weiterweg. In der Ecke lauert noch ein Schacht mit Wasserfall ins Bodenlose, unten vielleicht eine Halle ? Sieht so aus !! . Hmmm, Seil haben wir noch, jedoch keine Anker, keine Schlingen, alles verbaut, egal, schon hängen wir an der instabilen Rampe und es poltert gewaltig. STOP, STop, stop !!!

Trotz Entdeckungsfieber ziehen wir nach einem Blickwechsel wortlos die Notbremse der Vernunft. Das machen wir definitiv nicht !!! Nirgends, und hier erst recht nicht !  Statt dessen machen wir Fotos, lassen den Laserstrahl des Vermessungsgerätes in die rasch benannte „Halle der Träume“ hinab blitzen, sondieren Ankerpunkte und sichere Seillinien. Wir sind uns bald einig wie man 2017 wohl auf sichere Weise hier hinunterkommt.  Ein Jahr warten schmerzt, geologisch gesehen jedoch ist das ein Nichts !

Zurück im Biwak geht es zu wie beim Kaffeekränzchen ! Alle erzählen gleichzeitig mit dicken Backen J , die letzten Tropfen Rotwein machen die Runde. Die Halle 7 und fossil abziehende Meander wurden entdeckt, sogar etwas Wind liebe Freunde !!!  Es wird eine lange und glückliche Nacht. Nach einer absehbar anstrengenden Tour zurück ans Tageslicht, gefolgt von einer noch längeren, noch glücklicheren, noch lauteren Nacht mit Marvin (viele neue Höhleneingänge im GPS), Kathi, dem Hüttenteam und viel mehr Wein, ist endlich der Hüttenschluß erreicht.  Zumachen, der Winter kommt bestimmt !! (vielleicht).

Neu entdeckt und vermessen wurden ca. 600 Meter. Die Kreuzhöhle hat nun 2.810 Meter vermessene Ganglänge. Neuer Tiefpunkt ist die Halle der Träume mit -664m unter Eingang.  Unsere riesige Schachtspalte ist die tektonische Hauptspalte durch die Loferer Steinberge. Das ist auf Luftbildern gut erkennbar. Schon das ist eine Sensation im Zentrum des Gebirgsstocks.

Glück tief,   Oliver Kube

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