Alpine Schnuppertage

Von Muren, Hüttengaudi und Spaltenbergung im Schuppen - alpine Schnuppertage im Kaunertal

Eingeschlossen am Ende eines Bergtals durch eine riesige Mure für die nächsten Tage? Für manche eine recht unangenehme Vorstellung - für andere wiederum die Chance auf ein langes Wochenende mit viel Gelassenheit und wenig anderen Berggästen.

Wer das erlebt hat? Wir - eine bunte Gruppe aus sieben Personen, die sich Ende Juli zu fünf Tagen alpinem Schnuppern in Gletscherumgebung im österreichischen Kaunertal zusammengefunden hat.

Aber von vorne:

Bei unserer Anreise ins Kaunertal schien es, als ob der Himmel seine Schleusen öffnete - heftigster Regen, Hagel und gewaltige Blitz- und Donnerschläge begleiteten uns bei der Ankunft im Gepatschhaus. Der heiße Sommertag, den wir bei der Abreise in Frankfurt am Morgen noch erlebt hatten, war bei dem Temperatursturz von 15 Grad schnell vergessen.

Im Klettersteig

Kurz nach Bezug der Zimmer wurde es urplötzlich dunkel im Haus und die Gäste mussten neben warmen Klamotten auch schon frühzeitig die Stirnlampen aus den Rucksäcken holen, denn der Strom war weg. Wenig später kannten wir den Grund: eine Mure - ausgelöst durch den Starkregen - hatte weiter unten im Tal die Straße verschüttet und den Strom gleich mit.

Mit der wachsenden Zahl der unfreiwilligen Gäste im Gepatschhaus wurde rasch klar, dass vorerst niemand mehr aus dem Tal heraus kam. Erste Handy-Bilder machten die Runde und zeigten das verheerende Ausmaß der Mure: meterhohes, verschlammtes Geröll auf mehreren Hundert Meter Länge blockierten das gesamte Tal. Ein Wunder, dass keine Menschen zu Schaden kamen.

Bewundernswert war die Wirtin Lucia und ihr Team vom Gepatschhaus, die mit großer Gelassenheit die vielen unerwarteten Gäste - von Tagestouristen bis zu Bauarbeitern - bewirteten, und das ganze auch noch ohne Strom.

Etwas später am Abend bestätigte dann auch die Behördenseite offiziell: niemand könne vorerst das Tal über die Straße verlassen; die Dauer der Räumarbeiten sei unbekannt, mindestens noch das folgende Wochenende; Menschen mit dringenden Anliegen könnten am nächsten Tag mit dem Hubschrauber ausfliegen.

Auch unsere Gruppe stand vor der Frage, ob wir ausfliegen sollten oder lieber bleiben sollten. Im Vertrauen darauf, dass die Straße rechtzeitig für unsere Heimreise passierbar sein würde, entschieden wir uns für Letzteres und lagen damit goldrichtig, denn es sollte ein wunderbares, langes Wochenende werden.

Vor der Rauhekopfhütte

Nach diesem aufregenden Auftakt starteten wir am nächsten Tag nach Plan mit unseren alpinen Schnuppertagen. Unsere Übungsleiterin Chrissi ließ uns erste Erfahrungen auf dem Eis sammeln - anseilen, mit Steigeisen gehen, fallen, rutschen lassen und mit dem Eispickel wieder stoppen - wir lernten viel und hatten mordsmäßig Spaß! Wir rundeten den Tag ab mit ein paar Routen im Klettergarten Fernergries und dem benachbarten Holderli-Seppl-Klettersteig.

Allerdings ließ uns das rasch nahende Gewitter schneller klettern und abbauen als uns lieb war. Durchnässt kehrten wir zum Gepatschhaus zurück und mussten eine weitere Entscheidung treffen: Sollten wir trotz der schlechten Wetterprognose mit Regen für die kommenden Tage wie geplant weitermachen und am nächsten Tag auf die Rauhekophütte aufsteigen? Der größte Teil der Gruppe entschied sich dafür, am nächsten Vormittag das nächste und vorerst letzte Schönwetterfenster für den Aufstieg zu nutzen.

Auf dem Gepatschferner

Los ging es also in leicht reduzierter Gruppenstärke sehr früh am nächsten Morgen Richtung Gepatsch-Gletscher. Es wurde ein traumhafter Vormittag mit gutem Wetter und beeindruckenden ersten Erfahrungen bei der Querung der imposanten Gletscherzunge. Nach den letzten steilen Höhenmetern begrüßten uns die Hüttenwirte bei Sonnenschein auf der Terrasse der urigen, wunderschön gelegenen Rauhekopfhütte. Aufgrund des angekündigten schlechten Wetters verabschiedeten sich gerade die vorherigen und letzten Gäste. Wir unternahmen nur noch eine kleine Exkursion in Richtung Hauptgletscher und ließen uns beeindrucken von der gewaltigen Schönheit dieser rauen, eisigen Umgebung.

Hüttenzauber

Der Rest der beiden folgenden Tage ist unvergesslich, wenn auch relativ schnell berichtet:

Wir richteten uns gemütlich „Indoor“ bei Kaffee, Kaiserschmarren, Rotwein, Büchern, Gitarrenmusik und fröhlicher Hüttengaudi ein - wir hatten als einzige Gäste viel Platz - und warteten mit großer Gelassenheit ab, bis das Wetter „Outdoor“ wieder etwas freundlicher wurde. Die  beiden Hüttenwirte Christian und Georg und deren Hüttenjunge Malte bewirteten uns hervorragend - ihnen gebührt ein großes Lob, und das nicht nur für die kulinarischen Highlights (Rouladen & Co) auf über 2.700 Metern, sondern auch für die große Herzlichkeit, mit der sie unseren Aufenthalt auf dieser besonderen Hütte zu einem unvergesslichen Erlebnis werden ließen.

Trocken!-Übung

Ach ja, waren es nicht alpine Schnuppertage, die wir bei unserer Gruppenchefin Chrissi gebucht hatten? Chrissi integrierte also kurzerhand trotz echt schlechtem Wetter doch noch etwas alpine Gefahr zwischen Kaiserschmarren und Gitarrenmusik: Wer braucht schon echte Gletscherspalten? Spaltenbergung kann man schließlich auch im Holzschuppen der Rauhekopfhütte üben. Am Ende konnten unter fachmännischer Anleitung alle in die Spalte gefallenen Opfer geborgen werden. Und so konnten wir alle gemeinsam an Tag fünf unseres alpinen Abenteuers bei gnädigem Wetter den Abstieg ins Tal wagen.

Da war ja noch die Mure! Sie war zwar immer noch da, aber die unermüdlichen Helfer hatten zwischenzeitlich die Straße freigegraben. Wir konnten das Tal also mit unserem eigenen Fahrzeug verlassen. Beim Anblick des meterhohen Gerölls rechts und links der Straße verspürten wir ein deutliches Gefühl der Dankbarkeit, dass wir hier hinein fünf Tage vorher nicht geraten waren!

Zum Schluss: DANKE an unsere bunte, extrem entspannte Gruppe, an die spitzenmäßige Gruppenchefin Chrissi, die Hüttenwirte, die Muren-Helfer im Kaunertal und an unsere Sektion, dass sie solche Hütten wie das Gepatschhaus und die Rauhekopfhütte unterhält - und uns somit unvergessliche Bergmomente ermöglicht!

Text: Judith Bernhard
Fotos: Melanie Beringer, Christiane Jäcker

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